Risikobewertung von Hepatitis-D-Viren
Dr. Joachim Kremerskothen
Die ZKBS hat im Dezember 2021 die Risikobewertung von Hepatitis-D-Viren aktualisiert.
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Bei den bislang bekannten, acht verschiedenen Hepatitis-D-Viren (HDV-1 bis -8) handelt es sich um RNA-Viren mit einem zirkulären, einzelsträngigen Genom mit negativer Polarität. Die RNA liegt im Viruspartikel als Nukleoproteinkomplex mit dem einzigen von HDV kodierten Protein, dem Delta-Antigen, vor. HDV sind defekte Viren, deren Infektiosität von einer zeitgleichen Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) abhängt, da dessen Oberflächenproteine (HBsAg) auch als Hüllproteine für HDV fungieren. Neuere Daten zeigen darüber hinaus, dass auch die Hüllproteine anderer, zum Teil nicht mit HBV verwandter Viren (z.B. Dengue-Virus, West-Nil-Virus) eine Infektion durch HDV und anschließende Abgabe von HDV-Partikeln vermitteln können. Eine klinische Relevanz für die Komplementierung durch diese alternativen Helferviren ist derzeit jedoch nicht belegt. Neben dem Menschen als natürlichem Wirt, sind auch der Schimpanse (Pan troglodytes) und das Nördliche Spitzhörnchen (Tupaia belangeri sinensis) suszeptibel für eine Ko-Infektion mit HDV und HBV. Die Replikation des HDV Genoms kann dabei prinzipiell in vielen verschiedenen Zelltypen erfolgen, beschränkt sich jedoch durch den von den HBsAg vermittelten Tropismus im Rahmen einer natürlichen Infektion des Menschen auf Hepatozyten. Geschätzt etwa 12 Millionen Menschen sind weltweit mit HDV infiziert. In Südeuropa, im Mittleren Osten, Ostafrika und Asien treten HDV-Ko-Infektionen bei HBV-infizierten Personen mit den höchsten Prävalenzen auf, während die niedrigsten Prävalenzen in Nordeuropa, Nordamerika und Südafrika beobachtet werden. In Deutschland sind HDV-Infektionen eher selten (41 gemeldete Infektionen in 2020). Der Verlauf der Erkrankung hängt davon ab, zu welchem Zeitpunkt die HDV-Infektion auf eine HBV-Infektion trifft. Eine Ko-Infektion mit HBV und HDV führt normalerweise zu einer akuten und selbstlimitierenden Infektion. Bei etwa 2 % der ko-infizierten Patienten entwickelt sich eine chronische Infektion. Eine Superinfektion liegt vor, wenn chronische HBV-Träger mit HDV infiziert werden. Sie führt in 90 % der Fälle zu einer schweren akuten Hepatitis und einem chronischen Verlauf der HDV-Infektion. Die Superinfektion ist häufig mit einer fulminanten Form der Hepatitis assoziiert. Die chronische HDV-Infektion führt bei 50 – 70 % der Patienten innerhalb von 5 bis 10 Jahren zur Leberzirrhose. Die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Leberzirrhose ist somit bei HDV-infizierten Patienten dreimal höher als bei Patienten, die chronisch nur mit HBV infiziert sind. Die Frage, ob auch die Häufigkeit des hepatozellulären Karzinoms bei einer HDV-Ko-Infektion erhöht ist, ist nicht abschließend geklärt. Die Übertragung von HDV erfolgt horizontal (parenteral oder über Sexualkontakte) und vertikal (perinatal), jedoch nicht über den Luftweg, über Nahrungsmittel oder Wasser. Die Therapiemöglichkeiten für HDV-Infektionen sind zwar vorhanden, derzeit aber noch eingeschränkt. Antivirale Therapien gegen HBV, beispielsweise mit Nukleosid- und Nukleotidanaloga, sind gegen HDV wirkungslos. Allerdings schützt die Impfung gegen HBV auch vor einer Ko-Infektion mit HDV. Liegt jedoch bereits eine HBV-Infektion vor, schützt eine nachträgliche Impfung nicht vor einer HDV-Superinfektion. Nach der aktuellen TRBA 462 „Einstufung von Viren in Risikogruppen“ sind HDV gemäß Biostoffverordnung der Risikogruppe 2 zugeordnet. HBV, von dessen Infektion eine HDV-Infektion abhängt, ist gem. § 5 Abs. 1 GenTSV i. V. m. Anlage 1 als Spender- und Empfängerorganismus für gentechnische Arbeiten der Risikogruppe 2 zugeordnet.
Die ZKBS empfiehlt, HDV als Spender- und Empfängerorganismen für gentechnische Arbeiten nach § 5 Abs. 1 GenTSV i. V. m. den Kriterien in Anlage 1 GenTSV der Risikogruppe 2 zuzuordnen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass zur Prophylaxe ein wirksamer Hepatitis-B-Impfstoff zur Verfügung steht. Zudem ist eine gezielte Behandlung einer chronischen HDV-Infektion mit einem antiviralen Wirkstoff mit moderater Wirksamkeit möglich. Bei sachkundigem Umgang durch geschultes Personal wird das Infektionsrisiko in gentechnischen Anlagen aufgrund der eingeschränkten Übertragungswege als gering bewertet. Eine mögliche Infektionsquelle könnte die Verletzung mit einem kontaminierten Gerät sein, die durch gesonderte Vorsichtsmaßnahmen zu vermeiden ist. Darüber hinaus sind Sicherheitsmaßnahmen der Stufe 2 für den Schutz vor einer Infektion und für die im § 1 GenTG genannten Rechtsgüter ausreichend. Die ZKBS empfiehlt HBV-infizierten Personen, keine gentechnischen Arbeiten mit HDV durchzuführen. Darüber hinaus wird Personen, die gentechnische Arbeiten mit HDV durchführen, eine Impfung gegen HBV und die regelmäßige Kontrolle ihres Immunstatus empfohlen.
Die aktuelle ZKBS Risikobewertung zu HDV kann unter dem Aktenzeichen 6790-10-93 abgerufen werden.